Transnationales ExpertInnenforum

Sprache und Migration

Spracherwerb fördern – Menschenrechte verwirklichen
Integration gelingt nicht mit Zwang und Sanktionen

 

Abschlusserklärung des
1. Trinationalen ExpertInnenkolloquiums „Sprache und Integration“

Wien im April 2006

 

Der Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache/ Institut für Germanistik der Universität Wien, der Verein Projekt Integrationshaus und die Volkshochschule Ottakring (LernRaum Ottakring; Kompetenzzentrum für Integration, Interkulturalität & Mehrsprachigkeit) in Kooperation mit dem Österreichischen Verband Deutsch als Fremdsprache (ÖDaF), dem Arbeitskreis Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz (AKDaF) und dem Verein „Fachdidaktik im Gespräch – Netzwerk Sprachen e.V.“ (Deutschland) veranstalteten Anfang April das erste trinationale ExpertInnenkolloquium zum Thema „Sprache und Integration. Die ExpertInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz legen die folgende Erklärung vor:

  1. Für eine erfolgreiche Integration von MigrantInnen sind Deutschkenntnisse eine wichtige Voraussetzung; allerdings kann Integration nicht auf den Spracherwerb verkürzt werden.
    Integration gelingt nur, wenn neben die Sprachförderung auch eine gleichrangige Förderung der sozialen und beruflichen Eingliederung tritt und MigrantInnen von Anfang an Gelegenheit zur Teilhabe an der Gesellschaft des Aufnahmelandes erhalten.

  2. Die derzeitigen Sprachangebote für MigrantInnen sind begleitet von Prüfungen und finanziellen wie aufenthaltsrechtlichen Sanktionen. Die Wissenschaft wie auch die Unterrichtspraxis belegen jedoch, dass Zwang und Sanktionen, insbesondere bei Menschen, die ohnehin unter erschwerten Umständen ihr Leben meistern müssen, keine Integrationsmotivation erzeugen, sondern das Gegenteil bewirken: Verängstigung und Abschottung.
    Die Sprachförderung und aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen passen nicht zusammen und sollten entkoppelt werden. Prüfungen sind im Kontext der Sprachförderung abzulehnen.

  3. Angesichts der großen Heterogenität der Gruppe der MigrantInnen, ihrer unterschiedlichen Lernerfahrungen und ihrer unterschiedlichen Sprachbedürfnisse, stellen Einheitskurse, die auf einheitliche Sprachprüfungen vorbereiten, eher eine Barriere als eine Hilfe dar. Sie verhindern, dass gezielt gefördert wird. Das durchaus vorhandene, den Lebensumständen unterschiedlicher MigrantInnengruppen angepasste Sprachangebot sollte genutzt und weiterentwickelt werden, statt neue Einheitskurse zu entwickeln, die niemandem nützen.
    Das jetzt für die Prüfungsentwicklung eingesetzte Geld sollte wirksamer für den Ausbau einer differenzierten Sprachdiagnose und -förderung eingesetzt werden, bei der die MigrantInnen als Individuen mit unterschiedlichen Sprachlernbedürfnissen respektiert werden.

  4. Die derzeitige Integrationsdebatte ist durch eine Konformitätsideologie geprägt, die den Sprachenreichtum der MigrantInnen nicht zur Kenntnis nimmt, sondern im Zwang zur Einsprachigkeit mündet. Dabei steht fest, dass der Erhalt der Herkunftssprachen sich für den Spracherwerb und für Integrationsbestrebungen als förderlich erwiesen hat und der Aufnahmegesellschaft zusätzliche sprachliche Ressourcen erschließt.
    Zu fordern ist daher eine Förderung der deutschen Sprache bei Anerkennung und Bemühung um den Erhalt und die Festigung der mitgebrachten Sprachen der MigrantInnen.

  5. Die Aufgabe der sprachlich-kulturellen Integration von MigrantInnen erfordert ein qualifiziertes Lehrpersonal sowie eine sorgfältige Entwicklung von Curricula und Unterrichtsmaterialien. Periodische Evaluationen reichen als Maßnahmen der Qualitätssicherung nicht aus.
    Eine wirkungsvolle Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung bei der Sprachförderung für MigrantInnen setzt ausreichende Mittel, eine hohe Qualifikation der Lehrenden sowie einen ständigen Dialog zwischen der Praxis und der Wissenschaft voraus. Erforderlich ist die Einrichtung einer politikunabhängigen Fachinstitution, die die Sprachkurse fachlich begleitet und kontinuierlich evaluiert sowie ein Fortbildungskonzept für alle Beteiligten entwickelt.

  6. Die Sprachkurse und Sprachprüfungen für Integrationsmaßnahmen orientieren sich durchweg am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen. Dieser erlaubt jedoch keine direkte Umsetzung auf Unterricht und ist in seinen Grundlagen wie auch in der konkreten Ausformulierung keineswegs für die Zielgruppe der MigrantInnen, d.h. den ZWEITsprachenunterricht konzipiert. Der Europarat selbst prüft inzwischen, wie die falsche Inanspruchnahme des Referenzrahmens für MigrantInnenkurse und insbesondere Prüfungen verhindert werden kann und plant zusammen mit der Association of Language Testers in Europe die Entwicklung einer begleitenden ‚Testethik’.
    Sprachförderung für MigrantInnen kann den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen nicht blind übernehmen, sondern muss zielgruppenadäquate Orientierungen entwickeln und bei allen Fragen der Kursgestaltung, der Kurspflichten und der Überprüfung von Sprachkenntnissen die von allen Mitgliedsländern des Europarates wie der KSZE akzeptierten Sprachenrechte wie z.B. das Recht auf den Gebrauch und die Förderung der Herkunftssprache, das Recht des kostenfreien Zugangs zur Sprache des Aufnahmelandes respektieren.

 

Trinationales Expertenkolloquium „Sprache und Integration“

Wien, 6. April 2006

 

 

Kontaktpersonen:

Österreich:
Hans-Jürgen Krumm, Universität Wien: This e-mail address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it
Verena Plutzar, Verein Projekt Integrationshaus: This e-mail address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it
Mario Rieder, Volkshochschule Ottakring: This e-mail address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it

Schweiz:
Monika Clalüna, AK Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz: This e-mail address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it

Deutschland:
Susan Kaufmann, DaZ-Didaktik e.V., This e-mail address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it
Petra Szablewski-Çavuş, DaZ-Didaktik e.V, This e-mail address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it