Transnationales ExpertInnenforum

Sprache und Migration

Integration fördern – Menschenrechte verwirklichen
Förderung des Sprachenlernens statt Selektion durch Prüfen

 

Abschlusserklärung des
3. Trinationalen ExpertInnenkolloquiums „Sprache und Integration“

Zürich im April 2007

 

Der Arbeitskreis Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache in der Schweiz (Ak-DaF) veranstaltete in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk SprachenRechte, dem Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache/Institut für Germanistik der Universität Wien, dem Österreichi-

schen Verband Deutsch als Fremdsprache (ÖDaF), dem Verein "Fachdidaktik im Gespräch – Netzwerk Sprachen e.V." (Deutschland) und der Sprachförderung im Landesamt für Weiterbildung Südtirol im April 2007 das 3. trinationale ExpertInnenkolloquium zum Thema "Sprache und Integration". Die Expertinnen und Experten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol legen die folgende Erklärung vor:

  1. Mit grosser Sorge beobachten wir die Entwicklung in den D-A-CH-Ländern, wo vermehrt ein formeller Test für den Nachweis von Sprachkenntnissen als Bedingung für eine Aufenthaltsgenehmigung oder für die Einbürgerung verlangt wird. Dabei sollen Sprachkenntnisse auf einem bestimmten Niveau nachgewiesen werden.
    Standardisierte Sprachtests sagen aber weder etwas über den Grad der Integration aus noch über die Bereitschaft von Migrantinnen und Migranten, als Bürger und Bürgerinnen in ihrem Aufnahmeland mitzuwirken. Wir fordern darum eine Entkoppelung von Sprachtests und Aufenthaltsrecht.

  2. Die meisten Länder in Europa verzichten auf eine Verknüpfung von Sprachtests und Aufenthaltsrecht. Im „European Year of Citizenship“ 2005 hat der Europarat gemeinsam mit ALTE (Association of Language Testers in Europe) auf die Problematik von Sprachtests im Zusammenhang mit der Einbürgerung hingewiesen und Tests als dafür wenig geeignet bezeichnet. Für den Fall, dass dennoch Tests durchgeführt werden, verweisen Europarat und ALTE auf die hohe ethische Verantwortung solcher Tests, und formulieren qualitative Anforderungen, die u. a. eine entsprechende Expertise der Testentwerfenden und einen ausreichenden Zeitaufwand bei der Durchführung verlangen.
    Wir erwarten von den betroffenen Instanzen in den D-A-CH-Ländern, dass sie die Empfehlungen des Europarats ernst nehmen. Wenn Tests durchgeführt werden, sollten sie den ethischen Implikationen entsprechend von hoher Testqualität sein und ein faires Testverfahren garantieren.

  3. Prüfungen, von denen Aufenthaltsrechte abhängen, fördern keinesfalls die Motivation zum Sprachenlernen, sondern erzeugen Angst und Stress. Beide sind aus lernpsychologischer Sicht Lernhemmnisse, die zu Lernblockaden führen und Lernfortschritte verhindern. Gängige Testverfahren berücksichtigen häufig weder die Mehrsprachigkeit noch die individuelle Bildungs- und Sprachlernbiographie der MigrantInnen. Sie berücksichtigen auch nicht die konkrete Lebenssituation der Betroffenen, von der aber ihre Möglichkeiten, Sprachen zu verwenden wie auch ihre Perspektive im Aufnahmeland abhängt. Sprachtests können sinnvoll sein, wenn sie der Bestätigung von Kenntnissen aus beruflichen oder persönlichen Gründen dienen. Abzulehnen ist dagegen der Einsatz von Sprachtests im Ausländerrecht.
    Da jede Prüfung auch der Selektion dienen kann, lehnen wir insbesondere Einheitstests ab. Sie berücksichtigen die Diversität der MigrantInnengruppe nicht genügend und führen so oft zu einer ungleichen Behandlung und Benachteiligung einer grossen Anzahl von Betroffenen. Statt dessen müssen Verfahren entwickelt werden, die nicht auf Ausgrenzung, sondern auf Anerkennung von mitgebrachten Qualifikationen und Kompetenzen und auf individueller Beratung und Förderung basieren.

  4. Die Ausrichtung von Kursen auf einen zwingenden Abschlusstest hat einen entscheidenden Einfluss auf die Unterrichtsplanung und -gestaltung und die Lehr- und Lernmethodenin Sprach- und Integrationskursen. Grundlagen der Kurse müssen aber die Lebenssituationen und die Lernvoraussetzungen der Lernenden sein. Ihre Bedürfnisse und die Förderung des selbstbestimmten Lernens müssen im Zentrum des Unterrichtsgeschehens stehen und nicht die Vorbereitung auf Abschlussprüfungen und spezielle Testformate. Für die Prüfungsvorbereitung wird sonst viel Zeit und Energie verwendet, die der Zeit für den eigentlichen Spracherwerb verloren gehen.
    Standardisierte Abschlusstests beeinflussen die Kursgestaltung wesentlich. Sie laufen immer Gefahr, im Widerspruch zu Unterrichtskonzepten zu stehen, die sich an den Bedürfnissen und der Vielfalt der Teilnehmenden orientieren. Sie dürfen darum nicht zum Lernziel von Sprach- und Integrationskursen werden.

  5. Die Aufgabe der Kursleitenden in Sprach- und Integrationskursen ist es, die Teilnehmenden bei ihrer sprachlichen Integration zu fördern, sie in ihrem individuellen Lernprozess zu beraten und zu unterstützen, sowie den Unterricht nach diesen Bedürfnissen der Teilnehmenden zu planen und durchzuführen . Eine wichtige Voraussetzung für den Lernerfolg ist dabei das Vertrauensverhältnis zwischen Unterrichtenden und Lernenden, das nicht mehr gewährt ist, wenn die Kursleitenden zu Entscheidungsträgern über das Bleiberecht der Teilnehmenden werden.
    Es kann nicht Aufgabe der Kursleitenden in Sprach- und Integrationskursen sein, für staatliche Instanzen bei ihren Teilnehmenden Prüfungen im Hinblick auf das Aufenthaltsrecht durchzuführen. Sie werden sonst VollstreckerInnen von behördlichen Anforderungen, die der Selektion dienen statt der Förderung.

  6. Die gegenwärtige Entwicklung bietet den Betroffenen keine geeigneten Instrumente. Formale Tests werden weder der Situation von Migrantinnen und Migranten noch der Aufgabe der Lehrenden gerecht. Das Erheben von Sprachkompetenzen anhand von Sprachenportfolios trägt der Unterschiedlichkeit zwar etwas eher Rechung, doch sind Sprachportfolios ebenso wenig wie Prüfungen dafür geeignet, als Leistungsnachweis für ausländerrechtliche Zwecke zu fungieren.
    Vielmehr ist es angebracht, Verfahren zu entwickeln, die einerseits den vielfältigen Voraussetzungen und Lebenssituationen der Zielgruppe MigrantInnen gerecht werden, andererseits kompetenz- und nicht defizitorientiert vorgehen und auf diese Weise die vielfältigen Sprachkompetenzen von MigrantInnen erheben. Dabei sollen entsprechend qualifizierte SprachlernberaterInnen, die die Sprachkompetenzen einer Person einschätzen und deren Erhebung gegebenenfalls von den Behörden gleichwertig einem Sprachtest anerkannt wird, eine zentrale Rolle spielen. Im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen Empowermentprozesses und einer gelungenen Diversitätspolitik ist hier der Einsatz von MigrantInnen in Vermittlungsfunktionen unabdingbar.