Prüfen und Testen - als Fördern verkauft
Abschlusserklärung des
16. Transnationalen ExpertInnenforums „Sprache und Migration“
Fribourg/Schweiz im Mai 2014
Zum Abschluss des 16. Treffens des Transnationalen ExpertInnenforums Sprache und Migration in Fribourg mit dem Thema Prüfen und Testen – als Fördern verkauft greifen wir die Abschlusserklärung von 2010 auf, unterstreichen ihre Aktualität und stellen fest, dass in den letzten vier Jahren eine weitere Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen stattgefunden hat.
- So wurden in Österreich, ohne dass je eine Evaluierung der bis dahin vorgeschriebenen Regelungen durchgeführt wurde, im Jahr 2011 restriktivere Vorschriften wirksam: A1 vor Zuzug, A2 innerhalb von 2 Jahren, B1 für dauerhaften Aufenthalt.
- In Deutschland wurden, im Zuge der Anerkennung ausländischer Abschlüsse, Sprachtests bzw. Nachweise für Angehörige bestimmter Berufsgruppen eingeführt (zum Beispiel B2 für IngenieurInnen, ÄrztInnen, …).
- In Italien wurden Bestimmungen zum Sprachnachweis für Aufenthaltsgenehmigungen von ZuwandererInnen 2011 eingeführt (A2).
- In der Schweiz ist das Ausländergesetz auf Bundesebene in Revision, auf kantonaler Ebene sind allerdings teilweise Verschärfungen zu beobachten.
Als neuer didaktischer Ansatz wurde das Schweizer fide-Projekt diskutiert (www.fide-info.ch), das individuelle Bedürfnisse und Kompetenzen in den Vordergrund stellt. Nachdem das Curriculum und die darauf basierenden Fördermaterialien vielversprechende Ideen zeigen, wird nun in der Umsetzung und vor allem im Zusammenhang mit dem in Entwicklung begriffenen Sprachnachweis (inklusive 'Sprachenpass') zu verfolgen sein, wie hier die Projektanliegen einer teilnehmerInnen- und lebensweltbezogenenen Sprachenförderung zum Tragen kommen. Aus den Erfahrungen in anderen europäischen Ländern hat sich gezeigt, dass auch in konzeptionell fundierten Projekten die positiven Effekte der Kurse und Förderungen durch die starke Fokussierung auf Abschlusstests konterkariert wurden. Es ist außerdem zu beobachten, dass gewinnorientierte Testanbieter in diesem Geschäft zunehmend eine wichtige Rolle einnehmen, und damit die Interessen der KursteilnehmerInnen mit wirtschaftlichen Interessen in Konkurrenz kommen.
Im Rahmen des Treffens wurde die Studie „Language requirements and language testing for immigration purposes“ von Evelyne Pochon-Berger und Peter Lenz (Wissenschaftliches Kompetenzzentrum für Mehrsprachigkeit, Fribourg/CH, 2014) präsentiert, die eine kritische Metaanalyse der bis Mitte 2013 vorliegenden wissenschaftlichen Literatur zum Thema darstellt. Die Studie bestätigt die Beobachtungen des ExpertInnenforums, dass europaweit immer höhere Niveaus und mehr Tests verlangt werden und allgemein eine Verschärfung der gesetzlichen Regelungen in den unterschiedlichen Etappen des Migrations- und Integrationsprozesses zu sehen ist.
Die vorliegende Studie stellt dar, dass in verschiedenen Untersuchungen der letzten Jahre die nicht deklarierte Gate-keeping-Funktion dieser Tests aufgedeckt und kritisiert wird. Testergebnisse greifen in die persönlichen Lebenswelten ein, indem sie Familienleben, Aufenthalt, Ausbildung und Berufsausübung reglementieren, dies unter dem Deckmantel einer Integrationsförderung dank höherer sprachlicher Anforderungen.
Wir stellen fest, dass die damit verbundene institutionelle Diskriminierung von sogenannten Drittstaatsangehörigen und ihren Familien im Widerspruch zu Menschen- und Sprachenrechten steht. Weiters beobachten wir, dass Individuen fixe Identitäten zugeschrieben werden und hybride Subjektpositionierungen oder aber Mehrfachzugehörigkeiten in den Regelungen und Maßnahmen nicht berücksichtigt werden. Dadurch werden Oppositionen – etwa zwischen ZuwanderInnen und StaatsbürgerInnen oder auch EU-BürgerInnen und Drittstaatsangehörigen – konstruiert, die die Kluft zwischen sozialen Gruppen vergrößern, anstatt sie im Sinne eines gelungenen Miteinanders zu
schließen.
Wir kritisieren die Tendenz zu immer mehr formellen und einsprachigen Tests, deren Validität in verschiedener Hinsicht (v.a. Zuverlässigkeit und Aussagekraft) in Frage zu stellen ist, anstatt das Individuum in den Mittelpunkt zu rücken und Bedürfnisse, Lebenswelten und Erfahrungsräume wahrzunehmen. Wir fordern, in Übereinstimmung mit der vorliegenden Studie, mehr empirische Untersuchungen sowohl zur Funktion von Sprachkenntnissen im Migrationskontext als auch zur Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen.
Wir stellen die gängige institutionelle Praxis von verpflichtenden Sprachtests und der Korrelierung von Sprache und Aufenthaltsrechten in Frage und fordern daher, wie schon in der Abschlusserklärung 2010, ihre Abschaffung.
Transnationales ExpertInnenforum Sprache und Migration
Fribourg, 17.5.2014