Transnationales ExpertInnenforum

Sprache und Migration

Integration fördern - Menschenrechte verwirklichen
Kräfte aus Praxis und Theorie bündeln

 

Abschlusserklärung des
2. Trinationalen ExpertInnenkolloquiums „Sprache und Integration“

Ludwigshafen im Oktober 2006

 

Der Verein "Fachdidaktik im Gespräch - Netzwerk Sprachen e.V." (Deutschland) veranstaltete in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk SprachenRechte, dem Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache/Institut für Germanistik der Universität Wien, dem Österreichischen Verband Deutsch als Fremdsprache (ÖDaF), dem Arbeitskreis Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz (AKDaF) und der Volkshochschule Ludwigshafen im Oktober das zweite trinationale ExpertInnenkolloquium zum Thema "Sprache und Integration". Die ExpertInnen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol legen die folgende Erklärung vor:
  1. Integrationskurse im Rahmen der Zuwanderungs- und Fremdengesetze in Deutschland und Österreich beschränken sich auf allgemeine Deutschkurse und übersehen die Notwendigkeit von gezielter sprachlicher Förderung für die berufliche und soziale Integration von MigrantInnen. Sie werden derzeit schematisch vergeben, ohne dass auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Kontexte Rücksicht genommen wird. Im Vordergrund stehen Gesichtspunkte der Kontrolle und der zentralen Kursverwaltung, nicht aber solche der Förderung und Qualität von Integration. Diese Situation widerspricht der großen Vielfalt an Wegen zur Integration in die Gesellschaft (abhängig von der individuellen „Startsituation“), welcher nur eine Vielfalt möglicher Methoden und Instrumente gerecht werden kann.
    WissenschaftlerInnen und EntscheidungsträgerInnen mögen sich an erster Stelle dafür einsetzen, dass es mehr als nur ein Einheitsangebot (Verordnung zur Durchführung von Kursen bis in kleinste Details einschließlic Curriculum und Prüfung) gibt: Wir brauchen eine Vielfalt an Angeboten. Insbesondere auch in Bezug auf Form und Durchführung der Abschlüsse von Integrationskursen muss die Praxis für ihre Lernenden und für ihre jeweiligen besonderen Umstände angemessen auswählen können.

  2. In Gremien, Arbeitsgruppen und Evaluationsteams, die derzeit die Rahmenbedingungen zur sozialen und sprachlichen Integration von ImmigrantInnen gestalten, sind ExperInnen mit Praxishintergrund vollkommen unterrepräsentiert, was die Praxistauglichkeit und damit die Qualität und die Erfolgsaussichten von Konzepten und ihrer Durchführung erheblich mindert. Personen, die den Alltag der Integrationsarbeit kennen, können in diesen Gremien entscheidende Beiträge leisten.
    WissenschaftlerInnen, die in die Entwicklung von Konzepten zur sozialen und sprachlichen Integration von ImmigrantInnen sowie in diesbezügliche Entscheidungsprozesse involviert sind, fordern wir dazu auf, PraktikerInnen als Sachverständige in ihre Arbeit einzubeziehen und vor allem auch in die entsprechenden Gremien/Gruppen mitzunehmen bzw. einzuladen.

  3. Transparenz anstelle von Sachzwängen: In einer demokratischen Gesellschaft muss die Genese von Entscheidungen nachvollziehbar sein. WissenschaftlerInnen dürfen nicht in die Rolle derjenigen geraten, die immer gerade das Schlimmste verhindern können. Vielmehr muss gewährleistet sein, dass sie ein „Veto aus besserem Wissen“ einlegen können.
    Wir fordern die WissenschaftlerInnen in den genannten Gremiem dazu auf, ihre persönlichen ethischen Grenzen – z.B. Sprachprüfungen nicht mit Gesetzen verquicken zu wollen – gegenüber den Mitgliedern dieser Gremien sowie der Gesellschaft offen zu legen.

  4. Angewandte Forschung bezieht ihre Aufträge aus Bedarfen in der Praxis. Eine genaue Bedarfsbeschreibung kann nicht von außen oder von oben der Praxis vorgesetzt werden, sondern entsteht aus ihr. Die Initiative zur gemeinsamen Arbeit an Problemlösungen muss von beiden Seiten ausgehen. Bereitschaft zur Zusammenarbeit, gegenseitige Wertschätzung und Lernbereitschaft sind ebenfalls auf beiden Seiten notwendig.
    Wir fordern die PraktikerInnen dazu auf,
    • selbstbewusster/aktiver an Forschung und Entwicklung in ihrem Fachgebiet teilzunehmen, z.B. im Rahmen von Aktionsforschungsprojekten.
    • ihre Erfolge, gelungenen Praktiken sowie aus der Praxis entwickelte Neuerungen in wissenschaftlicher Form darzustellen, um sie einem weiteren Rezipientenkreis zugänglich zu machen.

  5. Arbeit an komplexen Aufgaben erfordert intensive, enge, strukturierte Zusammenarbeit zwischen vielen Ebenen. Die Entwicklung tragfähiger und bezüglich der fachlichen und hierarchischen Ebenen durchlässiger Netzwerke können hierbei nicht nur die Effizienz, sondern auch die Effektivität erheblich steigern.
    Zur Vernetzung von Personen und Projekten aus allen Bereichen, die mit Fragen der Integration befasst sind, werden effektivere Netzwerke notwendig:
    • intensivere horizontale Netze (etwa regionale und nationale Kollegennetzwerke)
    • intensivere vertikale Netze (Praxis-Wissenschaft-Politik-Netze), die in Form regelmäßiger Kontakte als feste Einrichtungen "laufen", z.B. Praxiswochen an Hochschulen (Seminare mit Studierenden und Praktikanten/Alumni), Summerschools u.Ä., ausgerichtet auf Austausch und Verbindung von Praxis, Theorie und Administration;
    • offenere interdisziplinäre Vernetzung (z.B. zum Thema Migration mit Juristen und Administration; zum Thema früherer Sprachförderung mit Pädagogen usw.)
  6. Qualitativ gute Arbeit und Qualitätssicherung erfolgt vor allem durch eine gute und gleichwertige Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis.
    Wir fordern die Verantwortlichen der Studiengebiete DaF/DaZ und der Lehrerausbildung dazu auf, frühzeitig Praktika anzuregen und diese sehr gut mit den Verantwortlichen aller am Prozess beteiligten Institutionen (Sprachschulen, Schulen, Kindergärten u.Ä.) abzusprechen sowie sich mit den Studierenden über den Sinn, den Zweck und die Aufgaben des Praktikums genau zu verständigen. Andernfalls verstärken Praktika die gegenseitigen Vorurteile, Abneigungen und Geringschätzungen von "Uni" gegenüber "Praxis" gegenüber "Verwaltung".