Transnationales ExpertInnenforum

Sprache und Migration

Integration fördern – Menschenrechte verwirklichen
Familiennachzug unterstützen - Situation in Deutschland

 

Abschlusserklärung des
8. Transnationalen ExpertInnenforums Sprache und Migration

Oberbozen/Südtirol im Oktober 2009

 

Das Gesetz, das die Erfordernis eines Sprachnachweises für nachreisende Ehegatten aus dem Ausland nach Deutschland regelt, wird von uns - und von vielen Juristen - als verfassungs- und EU-rechtlich bedenklich eingestuft. Die Ausnahmeregelungen sind teilweise absurd und diskriminieren sowohl MigrantInnen ausgewählter Länder als auch InländerInnen, die mit im Ausland lebenden Personen verheiratet sind. Die integrationspolitischen Begründungszusammenhänge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass für viele Migrant/innen der Sprachnachweis eine hohe Hürde für ein gemeinsames Familienleben bildet. Indirekt wird damit auch in die Eheschließungsfreiheit eingegriffen. - Wir unterstützen alle Bestrebungen, die betreffenden rechtlichen Regelungen im Aufenthaltsgesetz Deutschlands (§§ 28 und 30 Aufenthaltsgesetz sowie die entsprechenden Verwaltungsvorschriften) zu streichen und fordern die Gesetzgeber, z.B. in Österreich auf, eine solche Gesetzgebung gar nicht erst in Kraft zu setzen.

In den Regelungen wird festgelegt, dass deutsche Sprachkenntnisse von Personen nachzuweisen sind, die im Ausland mit Deutschen oder mit in Deutschland dauerhaft lebenden MigrantInnen verheiratet sind, dass dieser Nachweis vor der Einreise zu erbringen ist und wie der Nachweis gestaltet sein muss. Neben weiteren gesetzlichen Voraussetzungen kann nur bei Vorlage des Sprachnachweis ein Visum erteilt werden, um zu den in Deutschland lebenden Ehegatten einreisen zu können.

Als PädagogInnen, FachdidaktikerInen und LinguistInnen wehren wir uns dagegen, dass das Erlernen der Landessprache für ZuwanderInnen zu einem Rechtstitel im Kontext von Zuwanderungsregelungen instrumentalisiert wird. Die Regelung stellt für viele Ehegatten eine hohe – auch finanzielle - Hürde zum gemeinsamen Familienleben dar und trennt Familien.

Die Teilnahme an einem Sprachkurs im Ausland ist für die Betroffenen oftmals – schon aus praktischen Gründen - nicht möglich. Es gibt zahlreiche Berichte, die aufzeigen, wie schwierig und/ oder kostenträchtig es oft ist, Sprachkurse und Institutionen im Ausland zu finden, die von den Konsulaten als Nachweise anerkannt werden. Aus diesen Berichten ist ebenfalls die Tendenz abzulesen, dass sich in einigen Ländern von nachzugswilligen Ehegatten ein „Wildwuchs“ von Deutschkursanbietern herausgebildet hat, die mit überhöhten Kursgebühren und mit teilweise unqualifizierten Materialien und Methoden aufwarten.

Das Erlernen der deutschen Sprache kann das Leben in Deutschland erleichtern und wir unterstützen jede Initiative, die es den ZuwanderInnen ermöglicht oder erleichtert, die Landessprache zu erlernen. Dieser Lernprozess kann allerdings nicht per Gesetz verordnet werden, weder vor dem noch während des Aufenthalts; es ist ein Prozess, der individuell von den Lernenden und fachlich von der Kursgestaltung geprägt wird. Mit der gesetzlichen Regelung wird darüber hinaus auch ausdrücklich darauf verzichtet, eine nachhaltige Motivation für das Deutschlernen methodisch einzusetzen, nämlich den Kontakt mit Deutschsprachigen, vor allem auch mit dem eigenen Partner im Land.

Dass es dem Gesetzgeber bei der Einführung der gesetzlichen Vorgaben nur vordergründig darum ging, zu besseren Voraussetzungen für eine Integration der zureisenden Ehegatten beizutragen, wird bereits dadurch ersichtlich, dass die Erfordernis der Prüfung, also des Nachweises der angeforderten Sprachkenntnisse, eher geregelt wurde als die Frage, ob und welche Kurse dafür eingerichtet werden müssten. Das bundesdeutsche Innenministerium (bzw. das dem Bundesinnenministerium unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) verweist z.B. in seiner Öffentlichkeitsarbeit auf Fernkurse des Goethe-Instituts oder auf Kurse via Internet – ohne sich der Frage zu stellen, ob bzw. in welchem Maße die Betroffenen in den Ländern auf entsprechende Infrastrukturen zurück greifen können. Folgerichtig sind Kurse, die in verschiedenen Ländern inzwischen angeboten werden, oft einzig darauf ausgerichtet, den anstehenden Test zu bestehen. – Dieses Vorgehen widerspricht jeder Erkenntnis der Erwachsenendidaktik, die der Teilnehmer-, der Handlungs- und der Bedarfsorientierung verpflichtet ist.

Mit dem Absolvieren eines Sprachtests lassen sich bestenfalls Sprachkenntnisse, keinesfalls aber eine „Integrationsbereitschaft“ belegen. Wir widersprechen deshalb der Auffassung der Bundesregierung, dass mit dem erfolgreichen Sprachnachweis die „Integrationsbereitschaft“ der Nachziehenden motiviert bzw. dokumentiert werden kann. Einige Ausnahmeregelungen des Gesetzes und seiner Verwaltungsvorschriften sowie die Praxis in seiner derzeitigen Form legen eher die Vermutung nahe, dass der Paragraph einer Selektion der erwünschten von den unerwünschten ZuwanderInnen dienen soll als einer gezielten Vorbereitung zur Integration.

Eine generelle Ausnahme vom Sprachnachweis gilt z.B. für den Ehegattennachzug zu in Deutschland lebenden Staatsangehörigen von Australien, Israel, Japan, Kanada, der Republik Korea, von Neuseeland und den Vereinigten Staaten von Amerika. (Diese Aufzählung ist nicht abschließend). Des Weiteren sind von dem Nachweis der Sprachkenntnisse nachziehende Ehegatten von „Hochqualifizierten, Selbständigen und von Forschern“ ausgenommen sowie nachziehende Ehegatten, bei denen „erkennbar geringer Integrationsbedarf“ besteht. Ein solcher erkennbar geringer Integrationsbedarf „ist i.d.R. anzunehmen bei Ehegatten, die einen Hoch- oder Fachhochschulabschluss oder eine entsprechende Qualifikation besitzen oder eine Erwerbstätigkeit ausüben, die regelmäßig eine solche Qualifikation voraussetzen“.

Weder Deutschkenntnisse noch Deutsch-Sprachtests sind geeignete Instrumente, um Zwangsehen zu erschweren oder zu verhindern. Letzteres wird aber als eine der wichtigsten Begründungen seitens des Gesetzgebers für die Einführung des Sprachnachweises genannt. Mit dieser Begründung werden einerseits quasi alle Eheschließungen der betroffenen Eheleute vorsorglich unter den Verdacht der Zwangsverheiratung gestellt, um die „tatsächlichen“ Zwangsfälle zu verhindern.

Es mutet absurd an, dass alle Eheleute, die „freiwillig“ den Ehestand begründet haben, die neue bürokratische Maßnahme zu ertragen haben und oft unter ihr leiden müssen: Unter dem Vorwand der Hilfestellung für einige werden viele in eine schwierige Situation gebracht. Als ExpertInnen im Bereich „Sprache und Migration“ sehen wir in den Begründungszusammenhängen, in denen Sprachkenntnisse und -tests definiert werden, um integrationspolitische Ziele durchzusetzen, eine Missachtung der Forschung und Praxis auf diesem Gebiet: Wir können auf vielfältige Ergebnisse und Erfahrungen verweisen, wie das Lernen von Sprachen, insbesondere das Lernen von Zweitsprachen, sinnvoll und erfolgreich gestaltet werden kann; eine wichtige Erkenntnis unserer Arbeit ist die Tatsache, dass erfolgreiches Lernen nicht per Gesetz verordnet werden kann.

Wir ersuchen die Gesetzgeber anderer Staaten, ähnliche Gesetze zum Ehegattennachzug wie in Deutschland gar nicht erst einzuführen.